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Nationalmannschaft vor der WM: Ruhepol mit Killerinstinkt
Die deutsche Nationalmannschaft ist Mitte vergangener Woche auf die Philippinen gereist, wo am Freitag (12. Sep) die Weltmeisterschaft beginnt. Dabei sind mit Moritz Reichert und Florian Krage-Brewitz auch zwei Profis der Berlin Recycling Volleys, die beide bereits bei der letzten WM vor drei Jahren zur Auswahl von Bundestrainer Michal Winiarski gehörten. Vor Kurzem wurde Reichert in Lüneburg gegen Belgien für sein 150. Länderspiel geehrt und möchte auch in naher und ferner Zukunft eine wichtige Figur im DVV-Team bleiben.
Moritz Reichert hat es in diesem Sommer etwas gemütlicher angehen lassen. Hat die Volleyball Nations League den anderen überlassen. Nach gewonnener Deutscher Meisterschaft mit den BR Volleys gönnte er sich stattdessen mit seiner Frau Lisanne einen längeren USA-Urlaub einschließlich Hawaii. Anschließend besuchte er endlich mal wieder in aller Ruhe seine Eltern, Großeltern, die Schwester. „In den letzten Jahren war die Belastung sehr hoch“, erklärt der 30-Jährige seine verlängerte Auszeit, „das war jetzt sehr wichtig für Kopf und Körper.“ Im Juli begann er natürlich schon wieder mit individuellem Training, seit Anfang August bereitet sich der Außen-Annahme-Spieler mit dem Nationalteam auf den sportlichen Höhepunkt im Spätsommer vor, die Weltmeisterschaft auf den Philippinen (12. bis 28. Sep).
„Eine WM ist schon was Besonderes, was Großes“, hebt Reichert die Bedeutung hervor, „es ist auch erst meine zweite. Für uns als deutsche Nationalmannschaft ist das die Möglichkeit, uns weiter in der Weltspitze zu etablieren. Wir wollen bestätigen, dass wir bei solchen Turnieren mitspielen können.“ Platz sechs bei den Olympischen Spielen in Paris nach begeisternden Leistungen, im Jahr davor die perfekte Olympia-Qualifikation in Brasilien ohne Niederlage – das Winiarski-Team hat bewiesen, dass es keinen Gegner fürchten muss, und an Selbstvertrauen gewonnen. Diesmal soll mehr herausspringen als vor drei Jahren das Aus im Achtelfinale (1:3 gegen Slowenien), bei Reicherts und Krage-Brewitz‘ erster WM in Polen und Slowenien. „Wir wollen auch die Sportart voranbringen. Es ist eine gute Entwicklung zu spüren, die Leute verfolgen wieder gern die Nationalmannschaft, das haben wir bei den Länderspielen in München gegen Italien und in Lüneburg gegen Belgien gesehen.“ Die Hoffnung ist, noch mehr Menschen für den Volleyball zu begeistern: „Wir versuchen, unseren Beitrag zu leisten.“

Bei den Länderspielen in Lüneburg elektrisierte das deutsche Teams die heimischen Fans.
In der Vorbereitung wechselten Höhen und Tiefen, nicht nur bei ihm, nicht bei den Deutschen allein – Umstrukturierungen gab es wie üblich nach Olympischen Spielen bei nahezu allen Nationen. Das Zusammenwachsen braucht Zeit. „Da wird vieles neu zusammengewürfelt, das kann interessant werden“, prophezeit Reichert. „Wir haben auf jeden Fall ein gutes Team auf einem hohen Niveau, sind auf allen Positionen super besetzt.“ Die Teamdynamik müsse sich noch einstellen, aber alle sind überzeugt: „Wir können super Volleyball spielen“. Nach seinem etwas späteren Einstieg hat er sich vorgenommen, bis zum WM-Start in Topform zu sein und dann wieder eine gute Rolle zu spielen wie zuletzt bei den Olympischen Spielen in Paris.
Wie stehen also die Chancen? Da hält sich der gebürtige Saarländer mit euphorischen Prognosen zurück. Mit Bulgarien und Slowenien gebe es zwei sehr starke Kontrahenten in der Gruppe, Chile sei die große Unbekannte. „Da ist schwer was vorauszusagen“, antwortet Reichert vorsichtig, „wir müssen gegen Bulgarien gut ins Turnier reinkommen, dann kann sich was entwickeln.“ Das erste große Ziel müsse sein, die Gruppenphase erfolgreich zu bestehen. In der K.o.-Runde könnten dann Gegner wie die USA oder Kuba warten, ebenfalls Mannschaften, welche sich aktuell ein Stück weit neu formieren. Anschließend wäre im Viertelfinale ein Wiedersehen mit einem Vorrundengegner möglich – ähnlich wie bei der letzten WM-Teilnahme, als es sogar gleich zweimal hintereinander gegen die gastgebenden Slowenen ging und man sich die Zähne an dem über Jahre eingeschworenen Team ausbiss. Eines der genannten Länder wird jedenfalls aus diesem Teil des Turnierbaums den Sprung ins Halbfinale schaffen, und das wären nur zu gern die Deutschen.

Im Sommer schafften viele neue Gesichter den Sprung ins Kernteam.
Dazu braucht es auch Spieler, die Sicherheit und Ruhe ausstrahlen, ohne große Reden schwingen zu müssen. Joel Banks, sein Trainer bei den BR Volleys, glaubt, dass Reichert genau solch ein Typ ist. Seine Volleyball-Qualitäten machten ihn wertvoll für jede Mannschaft, sagt der Brite, jeder Trainer möge es, solch einen Spieler im Team zu haben, besonders durch seine Annahmestärke. „Moritz springt vielleicht nicht so hoch wie ein Georg Grozer oder Jake Hanes. Er ist dafür das stabile Element. Er hat Kontrolle. Dadurch erst bekommen die anderen die Möglichkeit, ihr Spiel aufzuziehen.“ Zudem könne er mit seinem guten Ballgefühl auch offensiv Stärken einbringen, präzise aufschlagen, in allen Variationen angreifen, Lücken in der Abwehr erkennen und sie nutzen.
Winiarski weiß genau, was er an Reichert hat, schließlich war der Allrounder bei den Spielen in Paris gesetzt. In Abwesenheit von Ruben Schott und Moritz Karlitzek drücken aber nun neue Akteure in die Startformation. Erik Röhrs und Tobias Brand trugen die Mannschaft über weite Strecken durch die VNL. Bei den letzten Testspielen ließ sich der im Team äußerst geschätzte polnische Trainer nicht wirklich in die Karten schauen. Ähnlich sieht es im Mittelblock aus, wo neben Krage-Brewitz auch Anton Brehme, Tobias Krick und Simon Torwie Ansprüche stellen dürfen. Es sind die Positionen, auf denen der Coach die Qual der Wahl hat, während Männer wie Diagonalangreifer Grozer, Zuspieler Jan Zimmermann und Libero Leonard Graven gesetzt sein dürften. Was ein Cheftrainer von Reichert bekommt, wenn er auf ihn setzt, formuliert Banks jedenfalls so: „Moritz ist ein ruhiger Charakter, er ist freundlich, er ist höflich. Dazu ein geschickter, hart arbeitender Typ. Und trotzdem sollte man nicht übersehen, dass dieser ruhige Mann im Volleyball einen Killerinstinkt hat.“

150 Länderspiele: Für Reichert nur eine Zwischenstation, er hat noch lange nicht genug.
Und einer ist, der nach mittlerweile zwölf Jahren Profisport seinen Spaß am Volleyball offenbar noch lange nicht verloren hat. Nach Stationen bei sieben verschiedenen Vereinen in Deutschland, Frankreich und Polen. Fast etwas belustigt antwortet er auf die Frage nach seinem Karriereplan: „Ich bin ja noch nicht so alt!“ Gern würde er bis zum möglicherweise nächsten großen Turnier 2028 weitermachen, den Olympischen Spielen in Los Angeles. „Das wäre natürlich noch mal ein Reiseziel“, sagt Moritz Reichert, „ich denke nicht daran, in näherer Zukunft aufzuhören.“ Das gelte natürlich nur, wenn der Körper mitspiele. Das weiß man nie, ebenso wenig, ob bei der WM die sportliche Kurve weiter nach oben zeigt. Nur so viel scheint gewiss, die Gemütlichkeit gehört der Vergangenheit an: „In den nächsten Sommern wird wieder mehr los sein.“
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